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Blog 17.11.2021 | Ethik – Not – Solidarität

«Ich sehe schwarz bei Konsumkritik am Blackfriday»

Die verkaufsstärksten Tage des Jahres stehen an und im Internet kursieren Kritiken zum Konsumverhalten und zum Kapitalismus. Ich finde es immer wieder spannend zu beobachten, wenn privilegierte Menschen andere für ihr Kaufverhalten an den Pranger stellen. 

Oft lese und höre ich Sätze wie «Kauft nur das, was ihr braucht oder nichts.», «Denkt nachhaltig» «Investiert in ein eco-sustainable-fairtrade-Pulli made in Zurich für 200 Franken – ist besser für die Umwelt». Das mag für einige vielleicht vernünftig klingen, jedoch ist die Überführung dieser Haltungen in Kaufentscheidungen für manche Menschen aus unserer Mitte nicht immer möglich, weil Nachhaltigkeit ihr Budget überlastet. Vor allem jetzt, mit der Inflation und der Strommangellage, die viele Menschen vor der nächsten Strom- und Nebenkostenabrechnung zittern lässt.

Es gibt Menschen, die an diesen Tagen Geschenke für ihre Liebsten kaufen, die sie sich sonst nie leisten könnten oder sich etwas gönnen, worauf sie lange sparten. Ihre Kaufkraft und das Einkommen reichen nicht aus, um ein Puppenhaus oder einen Laptop zum regulären Preis zu kaufen. Das können Alleinerziehende, Arbeitslose oder arbeitende Menschen sein, die dennoch armutsbetroffen sind, die so genannten working poor. Natürlich stehe ich den Sonderangeboten am Black Friday und Cyber Monday gegenüber kritisch, gleichermassen den profitierenden Unternehmen, die dahinterstehen. 

Ich denke auch an all die gestressten Mitarbeitenden, die letztes Jahr noch «systemrelevant» waren und deren Einsatz in der Pandemie heute wieder weitgehend vergessen wurde. Nichtsdestotrotz: Die Entscheidung, wie und was man zu welchen Bedingungen konsumieren kann, ist ein Riesenprivileg. Allen Kapitalismus- und Konsumkritiker:innen da draussen will ich wütend entgegenschmettern: Hört bitte auf mit euren Pauschalurteilen und eurer performativen Selbstgerechtigkeit! Übertriebener, massloser Konsum, der die Produktionsbedingungen ignoriert, ist schlecht und unnötig, wegen des Kilmawandels, der steigenden Ungleichheit, der Ausbeutung in den globalen Ländern des Südens – wir wissen es! Und Armutsbetroffene wissen es auch. Und dennoch gibt es Menschen, die sich Nachhaltigkeit schlichtweg nicht leisten können.

Selbstverständlich bin ich absolut gegen Kleidung aus Kinderhänden und mit langen Transportwegen aus fernen Ländern, gegen pestizidverseuchtes Gemüse, das unserer Erde und unseren Körpern schadet und gegen CO2-Emmissionen, SUVs in Innenstädten und gegen die ünnötige Fliegerei, wenn man doch eigentlich genauso gut den Zug nehmen könnte. Und ja, es ist schon absurd, wenn ein Shirt im Sale gleich viel kostet wie ein Kilo Brot aus der Migros. Aber so lange eine Zugreise so teuer ist wie die Flugtickets für eine Kleinfamilie, wird sich für manche Menschen nichts ändern, kann sich für manche Menschen nichts ändern. 

Aber wer ist nun schuld daran, dass es die ausbeuterischen Fabriken noch gibt, und wer hält die Produktion sowie die Nachfrage danach aufrecht? Es sind wir, die Abnehmer:innen. In uns werden permanent Bedürfnisse erweckt. Konsumbedürfnisse, die uns vorgaukeln, erst wirklich glücklich zu werden, wenn wir z.B. das neue Smartphonemodell kaufen, die neue Winterjacke (obwohl die von letztem Jahr noch im Schrank hängt) und den neuen Kashmirpullover. Weil der alte ein Loch hat und wir nie gelernt haben zu flicken, Dinge zu reparieren. Sich von unüberlegtem Konsum kritisch zu distanzieren, ist unsere Pflicht, wenn wir kommenden Generationen die Möglichkeit eines guten Lebens auf dieser Erde ermöglichen wollen.

Aber nicht jede Entscheidung hat direkt mit der eigenen Ethik und Moral zu tun! Und nicht jede Konsumentscheidung ist automatisch die Folge einer bewussten Wahl, sondern für viele Armutsbetroffene schlichtweg ein Mangel an Optionen. Oft heisst es, Geld sei nicht alles. Mag sein, aber Geld schenkt Freiheit, indem es die Optionen vervielfacht. Viele Menschen, die den Gürtel am Ende des Monats enger als alle anderen schnallen müssen, sind mit Ausgaben konfrontiert, die sie stark belasten – besonders kurz vor Weihnachten.

Falls du am Black Friday etwas kaufst, wirst du nicht zu einem schlechteren Menschen. Genauso wenig wirst du automatisch zur japanischen Minimalismus-Expertin Marie Kondo, wenn du mal deinen Kleiderschrank ausmistest, oder den Luxus hast, bewusst zu verzichten – weil du dein ganzes Leben nicht verzichten musstest.

Zum Black Friday wünsche ich allen: Geht mal selbstkritisch in euch und betrachtet die Regale in denen eure Privilegien ausgestellt sind.

Check your privilege!

Aslıhan Aslan

Aslıhan Aslan ist Aktivistin im Themenbereich Klassismus, Rassismus und Feminismus. Asli arbeitet in der Kommunikation und engagiert sich als Vorstandsmitglied beimVerein WE/MEN für Gleichberechtigung. Nebst ihrem Interesse für gesellschaftliche Themen, schreibt sie Briefe und Postkarten. Damit möchte sie das Unaussprechliche zur Sprache bringen und anderen Menschen eine Freude bereiten. 2022 gründete Aslıhan Aslan ZIM Zusammen ins Museum.

Gutes Tun am Giving Tuesday

Auf den Black Friday folgt der Giving Tuesday. Der GivingTuesday ist der weltweite Tag des Gebens und der Grosszügigkeit. An diesem Tag dreht sich alles darum, zu geben und Gutes zu tun. Das soziale Engagement bekommt hohe Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit. Der GivingTuesday wurde 2012 als grosser Aktionstag nach dem «Black Friday» ins Leben gerufen. Der GivingTuesday lenkt die Aufmerksamkeit auf die Themen Geben, Schenken und Spenden.

Mit einer Spende an den Solidaritätsfonds für Mutter und Kind unterstützen Sie notleidende Familien in der Schweiz. Obwohl das soziale Netz in der Schweiz recht engmaschig geknüpft ist, weist es gerade im Bereich Mutterschaft grosse Löcher auf. Die Geburt eines Kindes kann plötzlich ein finanzielles Risiko darstellen. Alleinerziehende und working poor Familien sind besonders gefährdet, in finanzielle Notlagen zu geraten. Spenden Sie für den Solidaritätsfonds für Mutter und Kind. Herzlichen Dank!

Mit einer Spende an das Elisabethenwerk unterstützen Sie Projekte von Frauen in Uganda, Bolivien, Indien und Sri Lanka. Das 1958 gegründete Hilfswerk des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes wird von der Solidarität mit den ärmsten Frauen in den Ländern des Südens getragen. Spenden Sie für das Elisabethenwerk. Herzlichen Dank!

 

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