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News 24.03.2024 | Gerechtigkeit – Gleichstellung – Politik

Ungleichbehandlung von Witwern und Witwen wird aufgehoben

Der SKF setzt sich für gerechte Geschlechterverhältnisse ein. Bislang erhalten verwitwete Männer eine Witwerrente bis zur Volljährigkeit des jüngsten Kindes; verwitwete Frauen hingegen auch dann, wenn sie keine oder bereits volljährige Kinder haben. Ein wegweisendes Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wirkt sich nun auch auf die Schweizer Gesetze aus.

© 2024 pixabay CC0 Public Domain

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fällte am 11. Oktober 2023 ein Urteil nachdem ein Witwer aus Appenzell, dem die Witwerrente gestrichen worden war, geklagt hatte. Der Hintergrund: Bis anhin hatten verwitwete Männer nur bis zum 18. Geburtstag ihres jüngsten Kindes Anspruch auf eine Witwerrente. Verwitwete Frauen hingegen bekommen die Witwenrente über die Volljährigkeit der Kinder hinaus. Diese Ungleichbehandlung rügte der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg und gab dem Mann Recht.

Gleiche Rente für gleiche Sorgearbeit

Der Appenzeller gab er seine Erwerbstätigkeit vollständig auf, als er mit 41 Jahren plötzlich Witwer wurde, um sich um seine Töchter kümmern zu können.  Als die jüngere Tochter volljährig wurde, stellte die Ausgleichskasse Appenzell Ausserrhoden die Zahlungen der Witwerrente ein. Eine verwitwete Frau hätte in derselben Situation jedoch lebenslänglich die Witwenrente erhalten. Der Mann ging in Revision und kämpfte sich mit seiner Forderung nach Gleichbehandlung 10 Jahre lang bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der SKF begrüsst, dass die vom EGMR klar festgestellte Ungleichbehandlung nach Geschlecht nun mit einer Teilrevision des Schweizer Gesetzes beseitigt wird und beteiligt sich an der Vernehmlassung,

Unbezahlte Care-Arbeit unabhängig von Geschlecht anerkennen

Ebenfalls begrüsst der SKF, dass künftig für einen Rentenanspruch die elterlichen Pflichten gegenüber Kindern bis zu deren vollendetem 25. Lebensjahr entscheidend sein werden – und zwar unabhängig vom Geschlecht des überlebenden Elternteils und auch unabhängig von dessen Zivilstand. Diese Regelung anerkennt die materielle und zeitliche Belastung sowie die erhöhte Verantwortung, die eine Elternschaft mit sich bringt. Es ist richtig und wichtig, dass diese erhöhte Verantwortung anerkannt wird und einen Rentenanspruch begründet. Es ist ebenso richtig, dass dies ein bestimmtes Geschlecht oder eine bestimmte Lebensform alleine nicht tun.

Erziehungs- und Betreuungsarbeit entscheidend

In diesem Sinne unterstützen wir auch die beantragte Neuregelung einer 2-jährigen Übergangsrente für verwitwete Frauen wie Männer ohne Erziehungspflichten. Es gibt keine Rechtfertigung, wieso alleinstehenden Frauen wie Männern ohne Erziehungspflichten eine lebenslange Witwen- bzw. Witwerrente ausbezahlt werden sollte – insbesondere, da sie, im Gegensatz zu alleinerziehenden Eltern, nicht zu den armutsgefährdeten Gruppen der Gesellschaft gehören.

Rentenansprüche auch für im Konkubinat lebende Paare

Witwen und Witwer haben Anspruch auf eine auf zwei Jahre befristete Übergangsrente bei Verwitwung, wenn sie zum Zeitpunkt der Verwitwung keine unter 25-jährigen Kinder oder Pflegekinder mehr haben. Diese Rentenregelungen sollten genauso für nicht verheiratete Paare gelten. Nicht verheiratete Eltern sollen Witwen und Witwern gleichgestellt sein.

Realität von Frauen bedarf besonderer Betrachtung

Der Frauenbund weist darauf hin, dass die Situation von Eltern – in der Realität vor allem Müttern - mit Kindern über 25 Jahren eine besondere Betrachtung verdienen. Dies, weil Frauen nach wie vor einen Grossteil der unbezahlten Betreuungs- und Erziehungsarbeit von Kindern leisten. Dafür zahlen sie mit Einbussen in Arbeitspensen, Karrierechancen, Erwerbseinkommen und somit Rentenansprüchen. Frauen dürfen nicht dafür bestraft werden, dass die Strukturen zur familienergänzenden Kinderbetreuung, die steuerlichen Anreize (hohe Grenzsteuersätze auf den Zweiteinkommen bei Verheirateten) und nicht zuletzt die patriarchalen gesellschaftlichen Erwartungen es ihnen erschwerten, ihre berufliche Laufbahn gemäss ihrem eigentlichen Erwerbspotenzial auch nach der Geburt ihrer Kinder weiterzuführen. Für diese Frauen – und, im Sinne des vom EGMR zu Recht eingeforerten Gebots der Gleichbehandlung der Geschlechter, auch Männer - braucht es eine Härtefalllösung in Form einer Übergangsbestimmung.

Härtefalllösung für Übergangszeit

Wer als Elternteil aufgrund von Betreuungs- und Erziehungspflichten seine berufliche Laufbahn und sein Erwerbseinkommen massgeblich eingeschränkt hat, kann unabhängig vom Alter der Kinder eine Härtefallrente von bis zu 5 Jahren, beziehungsweise eine Witwen- oder Witwerrente von bis zu 5 Jahren beantragen. Diese Bestimmung erlischt, sobald die Gleichstellung der Geschlechter realisiert ist. Dies erlaubt den Betroffenen die allenfalls notwendige berufliche Wiedereingliederung und/oder Neuorientierung. Die Übergangsbestimmung soll einer Sunset-Klausel unterliegen: Sie erlischt 10 Jahre, nachdem in der Schweiz die Gleichstellung von Frau und Mann soweit fortgeschritten ist, dass die nicht (anders als mit dem Geschlecht) erklärbaren Lohnunterschiede und die geschlechtsspezifische Rentenlücke je weniger als 5% betragen. Die Reform sieht vor, laufende Renten von Frauen im Alter unter 55 Jahren zu streichen, wenn sie keine Erziehungspflichten für Kinder unter 25 Jahren haben. Das ist zumutbar, braucht aber eine Übergangszeit, und darum soll dieselbe Härtefalllösung  zum Tragen kommen.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf für alle Geschlechter

An dieser Stelle betont der SKF einmal mehr die hohe Dringlichkeit besserer Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Wenn die Gesetzgebung und Rechtsprechung der Schweiz zunehmend Abstand nimmt vom Modell der Versorgerehe – was zu begrüssen ist –, hat der Staat auch die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit ein egalitäreres Modell für heutige Eltern und eine individuelle finanzielle Existenzsicherung für Mütter wie Väter überhaupt machbar und möglich ist.

Der SKF beteiligt sich an der Vernehmlassung zur Teilrevision der Alters- und Hinterlassenenversicherung zur Anpassung der Witwen- und Witwerrenten.

 

 

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