Corona-Situation in Bolivien

  • Die Lage in Bolivien hat sich erneut massiv zugespitzt. Das Land erleidet die dritte Welle, welche noch heftiger wütet als die vorhergegangenen. Die (Brasilianische) Gamma Variante ist gemäss Angaben unserer Konsulentin schneller tödlich als andere Varianten. Erschwerend hinzu kommt Boliviens sehr mangelhaftes Gesundheitswesen. Es fehlt an allem, was in dieser Pandemie hilfreich sein kann: Krankenbetten, Intensivbetten, Sauerstoff, Medikamente.

    Auf die offiziellen Zahlen in Bolivien ist kein Verlass. Selbst die WHO rät, den offiziellen COVID-19 Zahlen in Bolivien zu misstrauen und mit ungefähr 10 Mal höheren Infektionszahlen zu rechnen. Die Informationen innerhalb des Landes sind sehr dürftig, viele Menschen wissen nicht, wie die Situation aktuell ist.

    Bolivianer:innen haben wenig Vertrauen in die Regierung und  halten sich ergo oftmals nicht an die geltenden Massnahmen. Insbesondere im informellen Sektor, auf Märkten, tragen viele keine Maske. Von der Impfung wollen grosse Teile der Bevölkerung nichts wissen: Sie glauben beispielsweise, dass sie impotent oder unfruchtbar macht oder mit der Impfung ein Chip zur Überwachung eingepflanzt wird.

    Die Massnahmen gegen Corona sind je nach Region sehr unterschiedlich. So gelten je nach Region oder Stadt andere Regeln, da die Ausbrüche vor allem in dicht bevölkerten Städten erfolgen. Teilweise besteht ein Ausgehverbot, so dass pro Haushalt nur eine Person pro zwei Tage aus dem Haus gehen darf, um Einkäufe zu tätigen. Andernorts sind weniger strenge Beschränkungen eingeführt worden.

    Bis vor drei Wochen fand der Schulunterricht nur online statt. Seither ist eine «Semi-Präsenz» eingeführt worden, mit abwechslendem Schulunterricht in kleineren Gruppen. Der Online-Unterricht wurde während über einem Jahr geführt. Dabei öffnete sich der Graben zwischen Arm und Reich noch weiter. Nehmen wir eine alleinerziehende Mutter mit fünf Kindern als Beispiel. Die Mutter besitzt als Einzige ein Handy, ihr Pre-paid steht ihr für eine Stunde pro Woche zur Verfügung. Einzig das älteste Kind kann für eine Stunde am Unterricht teilnehmen, während die anderen keine Chance auf Unterricht haben. Somit hinken alle fünf Kinder weit hinterher. Aus diesem Grund war der Halb-Präsenz-Unterricht ein grosses Anliegen der Lehrpersonen, welche auf diese Lösung pochten.

    Die Programmverantwortliche des Elisabethenwerks (EW), Elisa Moos, musste die geplante Projektreise nach Bolivien bereits zum zweiten Mal ist verschieben. Die Quarantänepflicht von 10 Tagen, der eingeschränkte Öffentliche Verkehr, die dritte Welle und Hürden für physische Workshops haben sie dazu bewogen, einen Termin im Dezember vorzusehen.

    Neben all den Schwierigkeiten, welche die Pandemie in Bolivien mit sich bringt, wird das Land von zusätzlichen Problemen belastet. So haben die Lastwagenchauffeure «Bloqueos» (Blockaden von Städten und Strassen) beschlossen, weil nach 15 Jahren Unterbruch ein Transportzug von der Chilenischen Küste nach La Paz wieder in Betrieb genommen wurde. Da die Chauffeure befürchten, ihre Arbeit zu verlieren, verunmöglichen sie den Warentransport in die grösseren Städte, um die erneute Stilllegung der Bahnlinie zu erzwingen. (Stand 10.6.2021)

Onlineschulungen sind bei unseren Partnerinnen in Bolivien inzwischen verbreitet

Schon vor der Krise kochten die Frauen unter Einhaltung aller notwendigen Hygienevorschriften für die Schulküchen

  • Stand 15.3.2021: Boliviens Gesundheitssystem liegt im lateinamerikanischen Ranking fast zuunterst. Die öffentliche Gesundheitsversorgung ist längst nicht überall vorhanden. Private Kliniken, welche für den grössten Teil der Bevölkerung unerschwinglich sind, gibt es in den grossen Städten. Wer nicht genügend Geld hat, wird dort nicht aufgenommen.

    Seit auf die Kommunalwahlen im Januar 2021 hin die meisten COVID-19-Massnahmen aufgehoben wurden, breitete sich das Virus wieder stark aus. Inzwischen ist es insbesondere die brasilianische Variante, welche im Land vorherrscht. Von dieser gibt es wiederum bereits rund fünf Mutationen.

    Die offiziellen Zahlen zeigen im Moment rund 700 Neuinfektionen und 20 Tote pro Tag. Da nur wenig getestet wird, werden die effektiven Zahlen bis zu zehn Mal höher geschätzt. Die meisten Bewohner:innen der grossen Städte haben nicht genügend Mittel für den Test. Die wenigen für die Bevölkerung erschwinglichen Spitäler sind überfüllt und haben gleichzeitig zu wenig Medikamente bzw. Sauerstoff.

    Allein unsere Beraterin in Bolivien hat bereits neun Freund:innen wegen COVID-19 verloren, alle waren wie sie um die 45 Jahre alt. Sie meinte, dass viele Menschen schon wenige Tage nach dem Auftauchen der ersten Symptome versterben.

    Ein Projekt des Elisabethenwerks in El Alto, einer Grossstadt in Bolivien, hat unter der Situation besonders gelitten: Alle acht Leitungspersonen erkrankten und steckten teilweise ihre Familien an. Ein Mitglied erkrankte schwer und musste mit Sauerstoff versorgt werden. Dies bedeutet, dass Sauerstoffflaschen und Masken besorgt werden mussten. Zum Glück gibt es in dieser Familie medizinisch ausgebildete Personen, sie konnten die richtige Dosierung sicherstellen. Dieses Glück ist längst nicht allen beschieden. Erfreulicherweise sind in diesem Projekt alle Erkrankten inzwischen wieder genesen.

    In Bolivien ist die Naturmedizin sehr verbreitet und grosse Teile der Bevölkerung behelfen sich mit einer bestimmten Abfolge von natürlichen Medikamenten. Es scheint, dass diese keine schlechte Wirkung hat.

    Die Bolivianische Regierung hat einen Fahrplan für die Impfung festgelegt, wobei bisher lediglich ein Teil des Gesundheitspersonals die Immunisierung bekommen hat. Es handelt sich dabei um den russischen Impfstoff Sputnik 5. Leider wird nun fast täglich darüber berichtet, dass wieder eine grössere Anzahl Dosen verschwunden sei.

    Neben Maskenpflicht ist lediglich eine Massnahme beibehalten worden: Online-Schule für die Kinder. Dies ist bei der grossen Menge Kinder pro Klasse zwar verständlich, bringt jedoch Familien mit knappen Mitteln arg ins Hintertreffen: Das Geld reicht nicht, für sämtliche Lektionen aller Kinder genügend Pre-Paid-Kredit aufs Handy laden zu können.
     
  • Stand 8.5.2020: Die Situation in vier Projekten:

    Uru Murato am Popóo-See:
    Bolivien durchlebt gerade die zweite grosse Krise innerhalb von wenigen Monaten. Nachdem bereits im Oktober im Nachgang der Wahlen und dem erzwungenen Rücktritt von Evo Morales praktisch alles blockiert war, hat COVID-19 und die entsprechende Ausgangssperre einen neuen Stillstand bewirkt. Für die arme Bevölkerung wird dies lebensbedrohlich. Hier ein Beispiel von einer Partnerorganisation, welche sich dafür engagiert, dass die Menschen des bedrohten Volkes der Uru Murato ihre Situation verbessern können.

    Die Uru sind eines der ältesten Völker Lateinamerikas und bezeichnen sich als «Wassermenschen». Die Uru Murato leben am Popóo-See, einst der zweitgrösste See Boliviens, sie lebten hauptsächlich vom Fischfang. Der See ist 2015 vollständig ausgetrocknet, 2017 wurde er durch starke Regenfälle wieder aufgefüllt, trocknete danach jedoch wieder nahezu aus. Viele Uru-Männer leben als Tagelöhner ausserhalb ihrer Dörfer, während die Frauen sich bemühen, ihre Familien zu ernähren und das Leben am Laufen zu halten.

    Die Massnahmen gegen COVID-19, ein totaler Lockdown, zwang die Männer dazu, in die Dörfer zurückzukehren. Die Gesundheitssituation in den Dörfern ist ohnehin sehr bedenklich, die Wasserqualität miserabel. So versuchen die Frauen nun, das Immunsystem ihrer Familienmitglieder mittels Kräutermedizin zu stärken.

    Da die Frauen wegen der Ausgangssperre nicht mehr auf die Felder gehen können, hungern die Familien inzwischen. Dank guten Kontakten zu bolivianischen Organisationen, welche den Überlebenskampf der Uru unterstützen, bekommen sie inzwischen mindestens überlebenswichtige Lebensmittel. Das Projekt der Uru-Frauen, das im November 2019 bewilligt wurde, konnte wegen all der Wirren noch nicht gestartet werden. Wann es beginnen kann, hängt ganz von der Entwicklung der Corona-Infektionen in Bolivien und den entsprechenden Massnahmen ab.

    Situation der RENAMAT-Frauen, Kämpferinnen für sauberes Wasser in Bergbau-Gebieten (Hochland, Grossregion Oruro):
    In den Monaten März, April und teilweise im Mai wird in der Regel geerntet. Mit der totalen Ausgangssperre seit dem 18. März 2020 konnten die Frauen nicht mehr auf die Felder gehen oder ihre Tiere füttern. Damit die Tiere überleben, mussten sie jeweils mitten in der Nacht losgehen, um ihnen Futter zu bringen. Dies unter der Gefahr, dass sie ins Gefängnis müssen, wenn sie erwischt werden.

    Um die wenigen geernteten Produkte auf den Markt bringen zu können, müssen sie viele Dokumente ausfüllen und lange warten, bis sie eine Bewilligung bekommen. Unterdessen verderben die Landwirtschaftsprodukte. So kann nichts verkauft werden und die vielköpfigen Familien essen auf, was noch im Haus ist. So haben sie nun begonnen, das Saatgut für die kommende Saatsaison zu essen. Dieses fehlt natürlich für die kommende Saison.

    Das Elisabethenwerk angefragt, ob ein kleiner Teil des Projektgeldes für die Versorgung der Begünstigten eingesetzt werden könnte, um diese Notsituation etwas abzufedern. Dies wurde umgehend bewilligt.

    Situation der Frauen der «Comunidad Andina Suma Satawi» in El Alto, Hochland bei La Paz
    In der Millionenstadt El Alto, wo vorwiegend MigrantInnen vom Land wohnen, unterstützen wir ein Projekt, in dem Frauen lernen, qualitativ hochwertige Kleider aus Alpacawolle zu stricken. Viele der Begünstigten organisieren sich als Produktions- und Lerneinheiten in verschiedenen Quartieren. Neben dem Fachwissen werden sie auch als Gruppen gestärkt und sie lernen voneinander in Selbsthilfegruppen.

    Der Hunger durch die Ausganssperre wächst und die Situation in vielen Familien verschlechtert sich durch das enge Zusammenleben. Da ist es ein Segen, dass sich die Frauen des Projektes organisiert haben und mittels WhatsApp miteinander in Kontakt bleiben. Auf diese Weise können die Frauen solidarisch handeln und einander beraten. Wenn möglich helfen sie einander aus mit Lebensmitteln oder anderen dringend benötigten Waren. Dies hilft ein wenig, diese schwierige Situation besser zu überstehen.

    Situation der Frauen im tropischen Tiefland Bolivien
    In der Provinz Alto Beni unterstützt das Elisabethenwerk ein Projekt, in dem Frauen für die Schulküchen Mahlzeiten zubereiten, mit ihrer Landwirtschaftsproduktion die Biodiversität fördern und dank Weiterbildung ihre Rolle im Gesellschaftsleben stärken.

    Jetzt sind die Frauen mit ihren Familien eingeschlossen auf ihren Grundstücken. Meist haben sie jedoch das Land rund um ihr Haus landwirtschaftlich angebaut, so dass sie ihr Grundstück nicht verlassen müssen, um zu ernten. Alle anderen Aktivitäten hingegen, die sie näher zu ihren Projektzielen führen würden, sind blockiert: Die Schulküchen, welche noch nicht im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmass finanziert werden, die Stärkung ihrer Rolle bei den Gemeindeversammlung, wo sie ihre Anliegen einbringen, können nicht mehr fristgerecht durchgeführt werden. Mit den politischen Unruhen Ende letzten Jahres und der jetzigen Ausgangssperre wird das Projekt eine erhebliche Verzögerung erfahren.
     
  • Stand 19.3.2020: Es wird angenommen, dass das Virus von je einer rückreisenden Person aus Italien und Spanien eingeschleppt wurde und so anfing, sich im Land zu verbreiten. Bereits sind einige Ansteckungen bekannt. Mitte März wurde die Quarantäne eingeführt, die Landesgrenzen sind geschlossen und es ist verboten, zwischen den Departementen zu reisen. Es gibt auch eigenartige Restriktionen beim Autofahren und Busfahren, Fahrten zwischen 5 Uhr abends und 5 Uhr morgens sind untersagt. Die Arbeitszeiten wurden auf 8 Uhr bis 13 Uhr begrenzt, Läden sind bis 15 Uhr geöffnet. Polizei und Militär überwachen die Einhaltung der Regeln. Wer die Restriktionen nicht respektiert, wandert für mindestens 8 Stunden ins Gesfängnis. Diese ersten Massnahmen sind bis zum 31. März angeordent, danach wird die Situation erneut geprüft.
     
  • Bericht zur Verschiebung der Wahlen vom 3. Mai von amerika21.de
  • Hintergrundbericht von kath.ch zur Situation in Bolivien vom 22.3.2020