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News 13.09.2023 |

Pilotstudie zu Missbrauch in der katholischen Kirche Schweiz

1002 Fälle von Missbrauch, 510 Beschuldigte und 921 Betroffene. Das ist das Ergebnis der Analyse diözesaner Geheimarchive durch Forscher:innen des historischen Instituts der Universität Zürich.  Die Zahlen seien «nur die Spitze des Eisbergs», so die Historiker:innen, die von den drei nationalen, kirchlichen Institutionen beauftragt wurden. Der SKF nahm an der Medienkonferenz teil.

Marietta Meier (l.) und Monika Dommann leiten das Forschungsprojekt zum Missbrauch in der katholischen Kirche.

Die drei nationalen kirchlichen Institutionen der Schweiz – SBK, RKZ und KOVOS – haben 2021 gemeinsam entschieden, die Geschichte des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und Erwachsenen durch katholische Kleriker, kirchliche Angestellte und Ordensangehörige in der Schweiz seit den 1950er Jahren von unabhängiger Seite durch die Universität Zürich wissenschaftlich erforschen zu lassen.

Katholische Eigenheiten begünstigen Missbrauch

Die Ergebnisse der Pilotstudie, die am 12. September vom Forschungsteam präsentiert wurden, überraschen niemanden. Entsetzlich sind sie trotzdem. Nachdem Historiker:innen die Archive und Akten sichteten und auswerteten, ist klar, was Betroffene sowie Journalist:innen und zivilgesellschaftliche Organisationen seit Jahrzehnten klar bennen: Der spirituelle und sexuelle Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche und die Vertuschung durch Verantwortliche ist system- und kulturbedingt. Der SKF ist der Überzeugung, dass Massnahmen ohne umfassenden Kultur- und Strukturwandel oberflächlich bleiben.

Die Allianz Gleichwürdig Katholisch, zu der auch der SKF gehört, fordert einen Mentalitätswechsel. Die Ergebnisse benennen katholische Ideale, theologische Inhalte und Organisationsstrukturen als Faktoren, die Missbrauch und Vertuschung systematisch begünstigen. An der Medienkonferenz beantworteten Forschende sowie die Auftraggeber:innen der Studie Fragen, auch die des Frauenbunds.

Aktenvernichtung, Vertuschung, Täterschutz

Für zwei Diözesen kann die Vernichtung von Akten belegt werden. In den anderen Diözösen ist aufgrund der Bestimmungen des kanonischen Rechts, welches diese Praxis erlaubt, für bestimmte Zeiträume ebenfalls Aktenvernichtung anzunehmen. Immerhin: Bischof Joseph Bonnemain versprach an der Medienkonferenz, dass dies nun verboten sei. In einer Selbstverpflichtung müssen Bistümer und kirchliche Organisationen künftig unterzeichnen, keine (Missbrauchs)Akten mehr zu vernichten.

Es ist zudem teilweise belegt, dass Meldungen von Betroffenen nicht konsequent schriftlich festgehalten wurden und dass nicht alle Meldungen Eingang in die Archive gefunden haben. Das kirchliche Strafrecht wurde in der Praxis kaum angewandt. Stattdessen priorisierten kirchliche Verantwortliche den Schutz der Institution Kirche sowie den Schutz von Tätern und Verantwortungsträgern. Dabei wurden «Strategien des Verschweigens, Vertuschens, Bagatellisierens sowie die Versetzung überführter Täter innerhalb der Schweiz oder ins Ausland» praktiziert, so das Forschungsteam um Monika Dommann und Marietta Meier.

74 Prozent der Betroffenen minderjährig

Das Forschungsteam hat Belege für ein grosses Spektrum an Fällen sexuellen Missbrauchs gefunden – von problematischen Grenzüberschreitungen bis hin zu schwersten, systematischen Missbräuchen, die über Jahre hinweg andauerten. 74 Prozent der identifizierten Fälle betrafen den sexuellen Missbrauch an Minderjährigen – «von Säuglingen und vorpubertären Kindern bis hin zu postpubertären jungen Erwachsenen». 14 Prozent betrafen Erwachsene und in 12 Prozent der Fälle war das Alter nicht eindeutig feststellbar. In 39 Prozent der Fälle war die betroffene Person weiblichen Geschlechts, in knapp 56 Prozent männlich. Bei 5 Prozent liess sich das Geschlecht in den Quellen nicht eindeutig feststellen. Die Beschuldigten waren bis auf wenige Ausnahmen Männer.

Folgeprojekt und erste Massnahmen

Die Schweizer Bischofskonferenz SBK versichert in einer Stellungnahme «alles Menschenmögliche zu unternehmen, damit die Betroffenen Gerechtigkeit erfahren und sexuelle Missbräuche in Zukunft verhindert werden» und kommunizierte Massnahmen. Das Pilotprojekt ist der erste systematische Versuch, sexuellen Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche der Schweiz wissenschaftlich zu fassen und zu umreissen. Im Folgeprojekt 2024 - 2026 sollen weitere Archive in den Blick nehmen genommen werden, beispielsweise die von katholischen Schulen und Pfarreien in der Schweiz.  Noch wichtiger wären die Missbrauchsakten aus dem vatikanischen Archiv sowie Einsicht in die Akten der apostolischen Nuntiatur (die diplomatische Vertretung des Heligen Stuhls) in der Schweiz. Eine entsprechende Anfrage bei der Nuntiatur ist bisher negativ beantwortet worden.

Ergebnisse Missbrauchsstudie

Pilotprojekt zur Geschichte sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz seit Mitte des 20. Jahrhunderts umfasste sämtliche Schweizer Diözesen, die staatskirchenrechtlichen Strukturen und die Ordensgemeinschaften. Damit konnte ein unabhängiges Forschungsteam erstmals in allen relevanten kirchlichen Archiven systematisch Akten zu Fällen sexuellen Missbrauchs im Umfeld der katholischen Kirche einsehen. Das sind die Ergebnisse.

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